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„Wenn ich nur aufhören könnte …“ – Der Reiz von TikTok

Mehr als eine Milliarde Menschen besuchen mindestens einmal im Monat Tiktok, viele davon noch viel öfter. Über die Auswirkungen weiß man noch nicht viel. Der Ulmer Psychologe Christian Montag gehört zu den wenigen Personen, die dazu forschen. In einem Interview in der Zeitschrift "Gehirn&Geist" erklärt er, warum die App so beliebt aber noch wenig erforscht ist. 

Die kurzen Videoclips, die ohne Unterbrechung abgespielt werden können, sind für Jugendliche besonders attraktiv, da sie im Gehirn eine Erwartungshaltung wecken - vielleicht ist das nächste Video noch lustiger und unterhaltsamer? Gepaart mit einem intelligenten Algorithmus, der individuelle Vorlieben schnell erkennt, kann dies durchaus zu einem exzessiven Nutzungsverhalten führen. Besonders die abgespeckte Version der App, „Tiktok Lite", steht in der Kritik. Sie enthält ein Bonusprogramm, bei dem man für das Ansehen von Videos Gutscheine erhält, die man bei Online-Händlern einlösen kann – was zu einem enorm hohen Nutzungsverhalten führte. Deshalb wurde diese App auf Druck der EU vorerst gestoppt. 

Da unabhängige Forscher leider keinen Zugang zu den Nutzerdaten haben, gibt es noch keine wissenschaftlichen Beweise, wie Tiktok auf die Psyche wirkt und ob das Design der Plattform ein Suchtverhalten auslöst - aber alles deutet darauf hin. Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und geringe Gewissenhaftigkeit mit einer erhöhten Verweildauer auf TikTok zusammenhängen. Personen mit geringer Gewissenhaftigkeit haben eine geringere Fähigkeit zur Selbstregulation, was dazu führt, dass sie sich nur schwer von den kurzen Videos auf TikTok lösen können. Neurotische Persönlichkeiten neigen dazu, sich in die TikTok-Welt zurückzuziehen, was wiederum zu sozialer Isolation führen kann.

Die App wird ebenso wie andere soziale Medien ab einem Alter von 13 Jahren empfohlen. Diese Altersfreigabe basiert auf einem Gesetz aus dem Jahr 2000, als Social-Media noch nicht existierte. Der Experte empfiehlt ein noch höheres Alter, da die mit Social-Media verbrachte Zeit jungen Menschen für wichtige Entwicklungsaufgaben fehlt, darunter das Erlernen von sozialen Kompetenzen, die Identitätsfindung und die Entdeckung der eigenen Sexualität. 

Wie kann man einen übermäßigen Tiktok-Konsum beim Nachwuchs erkennen und ändern?

Eltern haben natürlich auch bei der Handynutzung eine Vorbildwirkung für ihre Kinder. Starren sie den ganzen Tag auf das Smartphone, werden die Kinder es ihnen gleich tun. Ein übermäßiger Konsum von TikTok kann durch Kontrollverlust und einer gewissen Unbelehrbarkeit erkannt werden. Obwohl die Kinder weniger Zeit auf der Plattform verbringen oder früher schlafen wollen, gelingt ihnen dies nicht. Deshalb empfiehlt der Experte, einen Medienvertrag aufzusetzen, in dem man festhält, wie TikTok und Co. genutzt werden sollen. Diese Regelungen gelten sowohl für Kinder als auch Erwachsene und sollten jährlich angepasst werden. 

Außerdem sollten Eltern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs verschiedene Social-Media-Plattformen erkunden. Viele Eltern waren noch nie auf TikTok und können deshalb nicht nachvollziehen, was ihre Kinder an TikTok & Co. fasziniert.

Zum Abschluss betont Christian Montag, dass er aber nicht die Eltern, sondern die Industrie in der Verantwortung sieht, wenn es darum geht, eine „gesunde“ Social-Media-Plattform zu schaffen. Solange wir mit unseren Nutzerdaten und unserer Aufmerksamkeit bezahlen, wird es keine gesunden Social-Media-Plattformen geben.

Quelle: Wolf, C. (2024). Macht Tiktok süchtig? Gehirn&Geist, Ausgabe 11_2024, S. 26 – 29.

Elisabeth Peham

News & Aktuelles

„Wenn ich nur aufhören könnte …“ – Der Reiz von TikTok

Mehr als eine Milliarde Menschen besuchen mindestens einmal im Monat Tiktok, viele davon noch viel öfter. Über die Auswirkungen weiß man noch nicht viel. Der Ulmer Psychologe Christian Montag gehört zu den wenigen Personen, die dazu forschen. In einem Interview in der Zeitschrift "Gehirn&Geist" erklärt er, warum die App so beliebt aber noch wenig erforscht ist. 

Die kurzen Videoclips, die ohne Unterbrechung abgespielt werden können, sind für Jugendliche besonders attraktiv, da sie im Gehirn eine Erwartungshaltung wecken - vielleicht ist das nächste Video noch lustiger und unterhaltsamer? Gepaart mit einem intelligenten Algorithmus, der individuelle Vorlieben schnell erkennt, kann dies durchaus zu einem exzessiven Nutzungsverhalten führen. Besonders die abgespeckte Version der App, „Tiktok Lite", steht in der Kritik. Sie enthält ein Bonusprogramm, bei dem man für das Ansehen von Videos Gutscheine erhält, die man bei Online-Händlern einlösen kann – was zu einem enorm hohen Nutzungsverhalten führte. Deshalb wurde diese App auf Druck der EU vorerst gestoppt. 

Da unabhängige Forscher leider keinen Zugang zu den Nutzerdaten haben, gibt es noch keine wissenschaftlichen Beweise, wie Tiktok auf die Psyche wirkt und ob das Design der Plattform ein Suchtverhalten auslöst - aber alles deutet darauf hin. Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und geringe Gewissenhaftigkeit mit einer erhöhten Verweildauer auf TikTok zusammenhängen. Personen mit geringer Gewissenhaftigkeit haben eine geringere Fähigkeit zur Selbstregulation, was dazu führt, dass sie sich nur schwer von den kurzen Videos auf TikTok lösen können. Neurotische Persönlichkeiten neigen dazu, sich in die TikTok-Welt zurückzuziehen, was wiederum zu sozialer Isolation führen kann.

Die App wird ebenso wie andere soziale Medien ab einem Alter von 13 Jahren empfohlen. Diese Altersfreigabe basiert auf einem Gesetz aus dem Jahr 2000, als Social-Media noch nicht existierte. Der Experte empfiehlt ein noch höheres Alter, da die mit Social-Media verbrachte Zeit jungen Menschen für wichtige Entwicklungsaufgaben fehlt, darunter das Erlernen von sozialen Kompetenzen, die Identitätsfindung und die Entdeckung der eigenen Sexualität. 

Wie kann man einen übermäßigen Tiktok-Konsum beim Nachwuchs erkennen und ändern?

Eltern haben natürlich auch bei der Handynutzung eine Vorbildwirkung für ihre Kinder. Starren sie den ganzen Tag auf das Smartphone, werden die Kinder es ihnen gleich tun. Ein übermäßiger Konsum von TikTok kann durch Kontrollverlust und einer gewissen Unbelehrbarkeit erkannt werden. Obwohl die Kinder weniger Zeit auf der Plattform verbringen oder früher schlafen wollen, gelingt ihnen dies nicht. Deshalb empfiehlt der Experte, einen Medienvertrag aufzusetzen, in dem man festhält, wie TikTok und Co. genutzt werden sollen. Diese Regelungen gelten sowohl für Kinder als auch Erwachsene und sollten jährlich angepasst werden. 

Außerdem sollten Eltern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs verschiedene Social-Media-Plattformen erkunden. Viele Eltern waren noch nie auf TikTok und können deshalb nicht nachvollziehen, was ihre Kinder an TikTok & Co. fasziniert.

Zum Abschluss betont Christian Montag, dass er aber nicht die Eltern, sondern die Industrie in der Verantwortung sieht, wenn es darum geht, eine „gesunde“ Social-Media-Plattform zu schaffen. Solange wir mit unseren Nutzerdaten und unserer Aufmerksamkeit bezahlen, wird es keine gesunden Social-Media-Plattformen geben.

Quelle: Wolf, C. (2024). Macht Tiktok süchtig? Gehirn&Geist, Ausgabe 11_2024, S. 26 – 29.

Elisabeth Peham

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Mehr als eine Milliarde Menschen besuchen mindestens einmal im Monat Tiktok, viele davon noch viel öfter. Über die Auswirkungen weiß man noch nicht viel. Der Ulmer Psychologe Christian Montag gehört zu den wenigen Personen, die dazu forschen. In einem Interview in der Zeitschrift "Gehirn&Geist" erklärt er, warum die App so beliebt aber noch wenig erforscht ist. 

Die kurzen Videoclips, die ohne Unterbrechung abgespielt werden können, sind für Jugendliche besonders attraktiv, da sie im Gehirn eine Erwartungshaltung wecken - vielleicht ist das nächste Video noch lustiger und unterhaltsamer? Gepaart mit einem intelligenten Algorithmus, der individuelle Vorlieben schnell erkennt, kann dies durchaus zu einem exzessiven Nutzungsverhalten führen. Besonders die abgespeckte Version der App, „Tiktok Lite", steht in der Kritik. Sie enthält ein Bonusprogramm, bei dem man für das Ansehen von Videos Gutscheine erhält, die man bei Online-Händlern einlösen kann – was zu einem enorm hohen Nutzungsverhalten führte. Deshalb wurde diese App auf Druck der EU vorerst gestoppt. 

Da unabhängige Forscher leider keinen Zugang zu den Nutzerdaten haben, gibt es noch keine wissenschaftlichen Beweise, wie Tiktok auf die Psyche wirkt und ob das Design der Plattform ein Suchtverhalten auslöst - aber alles deutet darauf hin. Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus und geringe Gewissenhaftigkeit mit einer erhöhten Verweildauer auf TikTok zusammenhängen. Personen mit geringer Gewissenhaftigkeit haben eine geringere Fähigkeit zur Selbstregulation, was dazu führt, dass sie sich nur schwer von den kurzen Videos auf TikTok lösen können. Neurotische Persönlichkeiten neigen dazu, sich in die TikTok-Welt zurückzuziehen, was wiederum zu sozialer Isolation führen kann.

Die App wird ebenso wie andere soziale Medien ab einem Alter von 13 Jahren empfohlen. Diese Altersfreigabe basiert auf einem Gesetz aus dem Jahr 2000, als Social-Media noch nicht existierte. Der Experte empfiehlt ein noch höheres Alter, da die mit Social-Media verbrachte Zeit jungen Menschen für wichtige Entwicklungsaufgaben fehlt, darunter das Erlernen von sozialen Kompetenzen, die Identitätsfindung und die Entdeckung der eigenen Sexualität. 

Wie kann man einen übermäßigen Tiktok-Konsum beim Nachwuchs erkennen und ändern?

Eltern haben natürlich auch bei der Handynutzung eine Vorbildwirkung für ihre Kinder. Starren sie den ganzen Tag auf das Smartphone, werden die Kinder es ihnen gleich tun. Ein übermäßiger Konsum von TikTok kann durch Kontrollverlust und einer gewissen Unbelehrbarkeit erkannt werden. Obwohl die Kinder weniger Zeit auf der Plattform verbringen oder früher schlafen wollen, gelingt ihnen dies nicht. Deshalb empfiehlt der Experte, einen Medienvertrag aufzusetzen, in dem man festhält, wie TikTok und Co. genutzt werden sollen. Diese Regelungen gelten sowohl für Kinder als auch Erwachsene und sollten jährlich angepasst werden. 

Außerdem sollten Eltern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs verschiedene Social-Media-Plattformen erkunden. Viele Eltern waren noch nie auf TikTok und können deshalb nicht nachvollziehen, was ihre Kinder an TikTok & Co. fasziniert.

Zum Abschluss betont Christian Montag, dass er aber nicht die Eltern, sondern die Industrie in der Verantwortung sieht, wenn es darum geht, eine „gesunde“ Social-Media-Plattform zu schaffen. Solange wir mit unseren Nutzerdaten und unserer Aufmerksamkeit bezahlen, wird es keine gesunden Social-Media-Plattformen geben.

Quelle: Wolf, C. (2024). Macht Tiktok süchtig? Gehirn&Geist, Ausgabe 11_2024, S. 26 – 29.

Elisabeth Peham